Die Rettungsfahrt der Carpathia

von Susanne Störmer

Anfang April 1912 liegt die Carpathia, ein Auswandererschiff der Cunard Line, ziemlich unbeachtet am Cunard Pier in New York, schließlich gibt es größere, schönere und schnellere Schiffe als jenes “Arbeitspferd”.

Kapitän der Carpathia ist Arthur Henry Rostron, Spitzname “the electric spark” (= der elektrische Funken); laut dem 2. Offizier der Carpathia, James Gordon Bisset, eine ausgezeichnete Charakterisierung dieses Schiffsführers.

Für Rostron ist die Carpathia erst das zweite Passagierschiff, das er als Kapitän führt. Rostron ist, wie Bisset sich später erinnert, ein tief gläubiger Mensch, der an die Kraft von Gebeten glaubt. Bisset beobachtet während seiner Wachen oft, wie Rostron auf der Brücke steht, die Mütze etwas angehoben hat und die Lippen zu einem stillen Gebet bewegt. Dieser Kapitän der Carpathia  ist wirklich nicht der Seemann, wie man ihn sich vorstellt – Rostron raucht nicht, trunkt nicht und flucht nicht. Allerdings wird Rostron mit Skepsis beobachtet, seit er – damals noch als Wachoffizier – die Sichtung einer Seeschlange meldete.

Auf der Carpathia hat Rostron fünf nautische Offiziere, sieben Ingenieure, drei Ärzte (ein englischer, ein italienischer und ein ungarischer), einen Zahlmeister, einen Chefsteward, einen Funker sowie rund 300 Mann “einfache” Besatzungsmitglieder unter sich.

Die Männer auf der Carpathia registrieren auch die Presseberichte von der erfolgreich absoliverten Probefahrt der Titanic am 2. April 1912. Am 10. April soll die Titanic Southampton zu ihrer Jungfernfahrt verlassen – und Bisset stellt in seiner Autobiographie fest, dass die Titanic mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22 Knoten New York am Dienstag, den 16. April 1912, erreichen wird, zwei Tage, nachdem ihr Schwesterschiff, die Olympic, den dortigen White Star Pier geräumt hat.

Als die Titanic am 11. April nach ihrem Zwischenstopp in Queenstown Kurs auf New York nimmt, verlässt die Carpathia – sie ist, wie die Titanic, nicht voll ausgebucht – mit 1063 Menschen (inklusive Besatzung) jenen Hafen in Richtung Gibraltar und Mittelmeer. Die entgegengesetzten Kurse sowie die unterschiedlichen Abreisetage und Geschwindigkeiten der beiden Schiffe werden sie unter normalen Umständen zwar nicht einander in Sichtweite, aber dennoch südlich der Neufundlandbänke relativ nah zueinander bringen – nah genug für die Carpathia, um eine wichtige Rolle in der Tragödie der Titanic zu spielen.

Am 14. April 1912 befindet sich die Carpathia etwa 1000 Seemeilen östlich von New York. Sie empfängt bis zum Abend drei Eiswarnungen – eine von der Caronia, eine von der Baltic und eine von der Californian. Für die Carpathia ist das kein Anlass zur Sorge oder für erhöhte Wachsamkeit, denn man befindet sich etwa 30 Seemeilen südlich von dem Eis.
Der 2. Offizier Bisset übernimmt am Abend des 14. April 1912 um 20:00 Uhr die Brückenwache. Um 21:40 Uhr Schiffszeit bringt der Funker der Carpathia, Harold Thomas Cottam, eine Eiswarnung von der Mesaba auf die Brücke – Bisset schätzt die Warnung nur als weitere Bestätigung der bereits früher empfangenen Meldungen ein. Als Kapitän Rostron auf die Brücke kommt, berichtet ihm der 2. Offizier von der neuesten Eiswarnung. Rostron lässt Cottam auf die Brücke kommen und fragt den Funker, welche Schiffe in seiner Reichweite sind.
Cottam nennt die Titanic, die er aufgrund der Lautstärke ihrer Signale in einer Entfernung von 30 oder 40 Seemeilen vermutet. Allerdings könnte es auch täuschen, da die Titanic eine sehr starke Anlage hat. Dann erwähnt Cottam die Californian, die für die Nacht abgestoppt hat, weil sie von Eis eingeschlossen ist. Außerdem hört Cottam die Frankfurt, die Mount Temple, die Virginian, die Birma sowie die Olympic, die zwar 500 bis 600 Seemeilen westlich von der Carpathia steht, aber wie die Titanic eine sehr starke Anlage und zwei Funker an Bord hat.
Früher am Tag hat Cottam bereits die Mesaba, die Baltic und die Caronia identifiziert – und mit Ausnahme der Mesaba und der Californian werden die Funker der von Cottam aufgezählten Schiffe nur wenige Stunden später Ohrenzeugen der verzweifelten Hilferufe der Titanic.

Nachdem Cottam von der Brücke verschwunden ist, sind Rostron und Bisset alleine. Bisset schildert in seiner Autobiographie Tramps and Ladies, wie sich die Lage zu diesem Zeitpunkt auf der Carpathia darstellt:

Das Wetter war schön, die See ruhig und es wehte kein Wind. Der Himmel war klar, und die Sterne schienen. Es gab keinen Mond, aber das Nordlicht flackerte wie aufleuchtende Mondstrahlen über den Horizont. Die Luft war intensiv kalt.
Obwohl die Sicht gut war, ließen die besonderen atmosphärischen Bedingungen, teilweise ausgelöst durch das Schmelzen eines großen Eisfeldes im Golfstrom nördlich von uns, die See und den Himmel ineinander übergehen, so dass es schwierig war, den Horizont zu bestimmen.
Kapitän Rostron starrte schweigend voraus und in den Himmel, dann wandte er sich nach Norden, beobachtete das Lichterspiel des Nordlichts. Ich hatte besseres vor als seine Gedanken zu stören. Dann lüftete er seine Mütze einige Zentimeter und sprach ein stilles Gebet, seine Lippen bewegten sich tonlos.
Danach wandte er sich zu mir und stellte fest: ‘Sie werden vielleicht die
Titanic sichten, wenn sie nach Süden steuert, um das Eis zu umgehen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie versuchen wird, direkt durchzufahren, wenn die Eisbrocken und Eisberge so dick sind, dass die Californian für die Nacht gestoppt hat. Funk ist eine wunderbare Sache, nicht wahr? Das Eis ist in diesem Jahr sehr früh nach Süden gekommen. Es muss ein frühes Tauwetter an der Labradorküste gegeben haben. Wir sind hier in freiem Gewässer, aber passen Sie trotzdem auf.’
‘Wir sind bald in wärmeren Wetter’, bemerkte ich.
‘Wer weíß, was voraus liegt?’, sagte er leise, dann ergänzte er: ‘Mir tut Smith von der
Titanic leid. Nach dem ganzen Medienrummel beweist sie sich nun auf ihrer Jungfernfahrt als lahme Ente, und jetzt verursacht dieses Eisfeld einen weiteren Zeitverlust, wenn er es südlich umfährt, was ich vermute. Sie muss ein wundervolles Schiff sein, aber dieses ganze Zeitungsgetöse scheint eine Art von Blasphemie zu sein; zu behaupten, sie sei unsinkbar und all das.’
Ich kannte die Einstellung des Kapitäns und respektierte sie, deswegen murmelte ich eine Zustimmung. Er änderte das Thema brüsk: ‘Die Nacht ist klar und ich gehe rein.’”

Auf der Carpathia nimmt alles seinen üblichen Lauf. Der Funker Cottam sitzt an seinem Gerät und lauscht den Geschäftstelegrammen, die der Funker Phillips auf der Titanic an Cape Race, der Landstation auf Neufundland, sendet. Cottam hört auch, dass der Funker Evans von der Californian mit der Meldung: “Wir sind gestoppt, blockiert vom Eis” in die Telegramme der Titanic hinein platzt – zu der Zeit ist die Titanic nach Angaben von Bisset nicht mehr als 20 Seemeilen von der Californian entfernt. Cottam grinst, als er Phillips’ kurze Antwort hört: “Halt die Klappe, alter Junge, ich bin beschäftigt.”
Auf der Californian schaltet Funker Evans daraufhin für die Nacht ab. Dazu hat er auch jedes Recht, denn seine Schicht ist beendet. – Auf der Carpathia nähert sich auch Cottams Schicht dem Ende. In den Erinnerungen von Bisset hat auch Cottam bereits Feierabend gemacht, ehe er dann aus einer Laune heraus sein Gerät noch mal anschaltete. Laut Rostron hat Cottam sein Funkgerät eingeschaltet gelassen und während des Auskleidens die Kopfhörer aufgesetzt behalten. Auch wenn die Erinnerungen abweichend sind, so führen sie doch zum gleichen Ergebnis: Cottam ist auf Empfang – im Gegensatz zu seinem Kollegen Evans auf der Californian.

Die Carpathia und die Titanic setzen ihre ursprünglichen Kurse fort – die Carpathia dampft mit 14 Knoten nach Osten, die Titanic mit etwa 22 Knoten nach Westen. Entgegen der Vermutung Rostrons ändert die Titanic ihren Kurs trotz des Eisfeldes nicht.

Um 23:40 Uhr streift die Titanic einen Eisberg – während die Carpathia weiter in Richtung Osten fährt; sie steht zu dem Zeitpunkt etwa 50 Seemeilen süd-südöstlich von der Titanic.

Gemäß den Erinnerungen von Bisset ist es Cottam, der gegen 0:20 Uhr aus einer Laune heraus die Kopfhörer entgegen seiner ursprünglichen Absicht noch ein weiteres Mal aufgesetzt. Er hört nichts. Doch anstatt nun wieder abzuschalten und – wie er es eigentlich beabsichtigt – schlafen zu gehen, ruft Cottam kurz Phillips auf der Titanic. Der antwortet mit einem kurzen “Weitersenden”. Also fühlt Cottam sich ermutigt, mit Phillips eine Unterhaltung zu beginnen: “Guten Morgen, alter Junge, weißt du, dass Cape Cod Telegramme für Dich hat?”

Gemäß den Erinnerungen von Rostron hat Cottam die Kopfhörer trotz Feierabend noch nicht abgesetzt und hört zu seiner Überraschung Phillips senden:

“CQD CQD SOS SOS CQD SOS. Kommt sofort. Wir haben einen Eisberg gestreift. CQD alter Junge. Position 41° 46′ Nord, 50° 14′ West. CQD SOS.”

Cottam fragt in seiner Verblüffung, ob er seinen Kapitän informieren soll, was Phillips bejaht. Der Funker der Carpathia rennt halb angezogen wie er ist auf die Brücke, informiert dort den wachhabenden 1. Offizier Dean, der Bisset um Mitternacht abgelöst hat, und läuft dann zusammen mit Dean zu Kapitän Rostron.
Rostron ist zuerst wenig verärgert, dass zwei seiner Leute ohne anzuklopfen in seinen Raum stürmen, dann ist er völlig perplex über das, was ihm erzählt wird – und dann weichen erneut die Erinnerungen von Bisset und Rostron voneinander ab.
Sowohl bei Bisset als auch bei Rostron ist zu beachten, dass diese Erinnerungen Jahre nach dem Ereignis niedergeschrieben wurden – als der Ausgang der Geschichte bereits bekannt war. Wer der beiden jetzt der zuverlässigere Zeuge der Ereignisse ist, muss der Leser für sich entscheiden.

Bisset erinnert sich in seiner Autobiographie wie folgt: “Um diese Zeit war es 0:30 Uhr, und ich war am Einschlafen. Plötzlich hörte ich die Stimme des Kapitäns den Befehl auf die Brücke geben: ‘Stoppt sie. Holt den Chefingenieur. Holt den Chief Officer. Ruft alle Offiziere. Alle Mann an Deck und macht die Boote fertig zum Ausschwingen.’

Besonders der letzte Befehl brachte mich mit einem Satz aus meiner Koje. Ich flog in meine Klamotten und Mantel, zog meine Stiefel an und sprang auf die Brücke, um herauszufinden, was los war. Dean informierte mich kurz mit aufgeregter Stimme: ‘Die Titanic hat einen Eisberg gestreift und den Notruf gesendet.’

Die Carpathia wurde bereits gewendet. Der Kapitän war im Kartenraum und setzte den Kurs ab. Er kam auf die Brücke und sagte knapp zum Rudergänger: ‘Nord 52 West. Volle Kraft voraus.’

‘Aye, aye, Sir, Nord 52 West.’

Die anderen Offiziere einschließlich des Chefingenieurs waren nun auf der Brücke. Der Kapitän bat uns in den Kartenraum und sagte: ‘Die Titanic hat einen Eisberg gestreift und ist 58 Seemeilen von hier in der Peilung Nord 52 West in Seenot. Wir werden unsere äußerste Kraft machen, wenn wir ihr zu Hilfe eilen. Setzen Sie eine Extrawache im Maschinenraum ein und holen Sie jedes mögliche Gramm an Dampf heraus. Wir können sie in vier Stunden erreichen. Alle Seemänner an Deck, um scharf Ausschau zu halten und die Boote auszuschwingen. Wir müssen möglicherweise 2000 oder mehr Menschen aufnehmen. Alle Stewards zum Dienst, um Decken bereitzulegen und  heißen Kaffee, Tee und Suppe zu bereiten. Die Ärzte sollen sich im Speisesaal bereit halten. Alle Gangwaypforten öffnen. Bootsmannsstühle an jeder Gangway bereithalten. Jakobsleitern über die Seite. Die vorderen Kräne aufriggen und Dampf auf die Winden. Öl bereithalten, um bei Bedarf die See zu beruhigen. Raketen klarmachen. Alles muss so still wie möglich getan werden, um unsere eigenen Passagiere nicht zu alarmieren.’

Das alles, schnell gesprochen in Rostrons klaren und festen Tönen in weniger als einer Minute, weckte die schlaftrunkenen Männer sofort zu höchster Wachsamkeit auf. Der Chefingenieur eilte nach unten. Der Chief Officer kümmerte sich um Details an Deck, übertrug uns verschiedenste Pflichten, während mehr und mehr Befehle vom Kapitän kamen.

Innerhalb weniger Minuten erhöhten die Maschinen das Tempo ihrer Vibrationen, und am Ende jagten wir mit 16 Knoten vorwärts; die höchste Geschwindigkeit, die diese alte Dame jemals in ihrem Leben erreicht hat.”

In Rostrons Erinnerungen liest es sich etwas anders. Nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass die Titanic um Hilfe funkt, läßt er das Schiff sofort wenden – und vergewissert sich danach beim Funker, ob er sich wirklich sicher sei, dass die Titanic einen Notruf funkte. Der Funker bejaht die Frage. Rostron kann es immer noch nicht wirklich fassen und fragt ein weiteres Mal nach, und erneut bleibt der Funker dabei, dass die Titanic den Notruf sendet.
Nun arbeitet Rostron im Kartenraum den neuen Kurs der Carpathia aus und lässt den Chefingenieur rufen. Noch während Rostron an der Karte den Kurs ausarbeitet, sieht er den Bootsmann, der Männer zum Deck waschen einteilt. Rostron befiehlt ihm, alle Routinearbeiten einzustellen und die Boote auszuschwingen. Auf den fragenden Blick des Bootsmannes erklärt Rostron, dass mit der Carpathia alles in Ordnung sei; man eile der Titanic zu Hilfe.
Als der Chefingenieur beim Kapitän ist, macht der Kapitän macht dem Chefingenieur klar, worum es geht, dass jedes Gramm Dampf benötigt wird – und der Chefingenieur versteht. Er lässt eine Extrawache antreten, und diese Männer, sobald sie erfahren haben, worum es geht, nehmen sich nicht mal mehr die Zeit, sich vollständig anzuziehen, sondern stürmen in den Maschinenraum und nehmen die Arbeit auf. Nach Rostron erreicht die Carpathia in jenen dreieinhalb Stunden, in denen sie zur Notrufposition der Titanic jagt, 17 Knoten – als 14-Knoten-Schiff.
Nachdem der Chefingenieur instruiert ist, erhalten Zahlmeister, Chefsteward und der englische Arzt ihre Anweisungen:
– Der englische Arzt bleibt im Speisesaal der 1. Klasse, der ungarische Arzt im Speisesaal der 2. Klasse und der italienische Arzt im Speisesaal der 3. Klasse. Alle drei müssen Vorräte an Stimulanzen, Beruhigungsmitteln und andere erforderliche Medikamente verfügbar haben.
– Der Zahlmeister mit seinem Assistenzen und dem Chefsteward halten sich bereit, um die Geretteten an den verschiedenen Gangwaypforten zu empfangen. Außerdem sollen sie die Stewards der Carpathia überwachen, wenn diese die Titanic-Passagiere zu den verschiedenen Speisesälen zur Unterbringung und Betreuung begleiten. Außerdem sollen der Zahlmeister, sein Assistent und der Chefsteward sich bemühen, die Namen der an Bord genommenen so vollständig wie möglich zu erhalten, damit diese per Funk weitergeleitet werden können.
– Der Inspektor, die 3.-Klasse-Stewards und der Master-at-arms halten die Passagiere der 3. Klasse der Carpathia unter Kontrolle. Keiner der 3. Klasse Passagiere der Carpathia darf in den Speisesaal oder an Deck.
– Der Chefsteward soll alle Mann antreten lassen, um Kaffee für die Crew der Carpathia bereit zu halten – und Suppe, Kaffee, Tee usw für die Geretteten. Decken sollen in der Nähe der Gangwaypforten, in den Saloons und in den öffentlichen Räumen bereitgehalten werden, andere für die Boote. Alle freien Betten im Zwischendeck sollen für die Aufnahme der Passagiere der 3. Klasse der Titanic vorbereitet werden, während die Zwischendeckpassagiere der Carpathia zusammenrücken müssen.
– Das alles muss in absoluter Ruhe und mit absoluter Disziplin ausgeführt werden, und ein Steward soll jeweils an neuralgischen Punkten stationiert werden, um die Passagiere der Carpathia, die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wach geworden waren, aufzufordern, wieder in ihre Unterkünfte zu gehen.

Nachdem diese Anweisungen gegeben sind, übernimmt Rostron die Brücke. Und so  jagt die Carpathia mit voller Kraft voraus und so schnell, wie niemand es ihr zugetraut hat, hinein in das Eisfeld, das die Californian zum Abstoppen gebracht hat und der Titanic zum Verhängnis geworden ist. Funker Cottam von der Carpathia  informiert Funker Phillips auf der Titanic, dass die Carpathia auf den Weg zum Havaristen ist. Danach bleibt Cottam stummer Zuhörer – er will den weiteren Funkverkehr der Titanic nicht stören.

Um 1:25 Uhr morgens hört Cottam die Titanic der Olympic mitteilen: “Wir setzen die Frauen und Kinder in die Boote.”

Und um 1:45 Uhr morgens wendet sich die Titanic an das Schiff, das von allen, die auf die Hilferufe reagiert haben, am ehesten eintreffen wird, die Carpathia: “Kommt so schnell wie möglich. Der Maschinenraum ist bis zu den Kesseln geflutet. Danke, alter Junger, gute Nacht.”

Rostron weist auf die Funknachricht direkt an die Carpathia den Funker Cottam an, der Titanic zu antworten, dass die Carpathia in etwa vier Stunden bei ihr sein wird – und alle ihre Boote klar hat und auch ansonsten alle anderen Vorbereitungen für die Übernahme von Passagieren abgeschlossen hat.

Und nun gibt Rostron dem 1. Offizier Dean folgende Anweisungen:
– Alle Rettungsboote klarmachen und ausschwingen; alle Gangwaypforten öffnen
– Vorbereitungen zur Aufnahme von Überlebenden an den Gangwaypforten treffen
– Die Ladekräne aufriggen und die Winden unter Dampf setzen, um Post und andere Fracht an Bord zu nehmen
– Öl bei den Toiletten auf beiden Seiten bereitstellen, um ggf. die See zu beruhigen
– Ab 3 Uhr alle Viertelstunde die Reedereisignale abfeuern, um der Titanic zu zeigen, dass Hilfe naht.
Außerdem gibt Rostron Dean detaillierte Anweisungen für die Pflichten der einzelnen Carpathia-Offiziere, falls die eigenen Rettungsboote zum Einsatz kommen.

Die Anweisungen von Rostron an Dean zeigen, dass er zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal in Erwägung, dass die Titanic untergehen könnte. Vorher ist er davon ausgegangen, dass sie zwar schwer beschädigt ist – sonst hätte sie auch nicht den Notruf abgesetzt – aber sich auf jeden Fall schwimmend halten wird, doch dass Passagiere, Besatzung und Post auf die Carpathia und andere, der Titanic zu Hilfe eilende Schiffe gebracht werden müssen.

Auf der Carpathia kommt es allen unglaublich vor, dass das unsinkbare Schiff doch untergehen kann. Die Anzeichen dafür, dass die Lage auf der Titanic weitaus ernster ist, als es sich alle auf den der Titanic zu Hilfe kommenden Schiffe vorstellen können, mehren sich:
Um 1:45 Uhr werden die Funksignale schwächer; ein Zeichen dafür, dass Reservebatterien benutzt werden.
Um 2:05 Uhr verstummt die Titanic – da ist die Carpathia noch 34 Seemeilen von der Titanic entfernt.

Gegen 2:35 Uhr meldet der Schiffsarzt der Carpathia, dass alle Anweisungen ausgeführt sind und alles fertig ist. Im gleichen Moment sieht Rostron ein grünes Lichtzeichen an backbord voraus. “Das ist ihr Licht”, ruft Rostron, “sie muss noch schwimmen!” Erleichterung macht sich breit, denn die letzten Funkmeldungen hatten eher Anlass zu Pessimismus gegeben.

Und nun meldet der 2. Offizier, der als Extra-Ausguck auf der Brücke agiert, den ersten Eisberg. Von da an ging die rasante Fahrt an zahlreichen Eisbergen vorbei.  Die Carpathia muss einen Zick-zack-Kurs fahren, um von diesen gefährlichen Hindernissen klarzusteuern. Die Geschwindigkeit bleibt unverändert bei “volle Kraft voraus”. Und die Carpathia kommt durch, dampft weiter in Richtung Titanic – im Maschinenraum sorgen zwei Schichten an Heizern und Trimmern dafür, dass das Schiff so schnell ist wie niemals zuvor und danach niemals wieder. Über diese halbe Stunde zwischen den Eisbergen bei voller Fahrt voraus wird Kapitän Rostron später sagen: “Gottes Hand hat das Ruder der Carpathia geführt.”

Alle auf der Carpathia halten angespannt Ausschau nach der Titanic – allmählich müsste das große Schiff in Sicht kommen, wenn sie noch schwimmt, was zu dem Zeitpunkt auf der Carpathia immer noch gehofft wird. Dass von der Titanic keine Funksignale mehr kommen, muss nicht unbedingt bedeuten, dass sie bereits untergegangen ist; es kann auch nur eine zusammengebrochene Stromversorgung dahinter stecken.

Mehr und mehr nähert sich die Carpathia der angegebenen Position der Titanic. Von dem Moment an, indem Lichtsignale von der Carpathia von der Titanic aus gesehen werden müssten, werden von der Carpathia Raketen abgefeuert – und, als man noch dichter an der Unglücksstelle ist, auch Cunards römische Lichter, das optische Nachterkennungssignal der Reederei.

Ab und an sieht man weitere grüne Lichter aufsteigen.  Doch da man mittlerweile die große Titanic, sofern sie denn noch schwimmt, sehen müsste, vermutet man auf der Brücke der Carpathia, dass diese grünen Lichter von einem Rettungsboot aus abgeschossen werden und man sie nur auf eine so große Distanz sehen kann, weil die Nacht so außergewöhnlich klar ist.

Um 3:30 Uhr steckt die Carpathia ein weiteres Mal zwischen Eisbergen, und Eisschollen schleifen am Rumpf entlang. Rostron reduziert die Geschwindigkeit erst auf “halbe Kraft” und dann auf “langsam voraus” – man steuert vorsichtig weiter in die Richtungm, in der die grünen Lichter abgeschossen werden und hält weiterhin scharf Ausschau nach der Titanic, die man immer noch irgendwann zu sehen hofft.
Um vier Uhr morgens setzt dann die Dämmerung ein. Gleichzeitig lässt Rostron die Maschinen stoppen – nach dreieinhalb Stunden glaubt man laut Bisset und Rostron an Ort und Stelle zu sein. Aber keine Spur von der Titanic – die als “undenkbar” unterdrückte Vermutung, dass die gigantische Titanic bereits gesunken ist und die Carpathia zu spät kommt, wird auf der Brücke der Carpathia nun zur traurigen Gewissheit.
Auf der Carpathia setzt sich trotz der Anspannung in allen die Macht der Gewohnheit durch – acht Glas werden angeschlagen und der Mann im Ausguck singt aus: “Alles wohl und Laternen brennen hell!” Auf der Brücke löst Chief Officer Hankinson den 1. Offizier Dean ab – und in diesem Moment wird ein Rettungsboot gesichtet, das sich in der leichten Brise, die mit der Morgendämmerung einsetzt, der Carpathia nähert.

Gerade als Rostron die Carpathia so manövrieren will, dass er das Boot an Lee aufnehmen kann, meldet der 2. Offizier einen großen Eisberg direkt voraus, so dass Rostron seinen Plan ändern muss. Statt an backbord muss er das Boot nun an steuerbord aufnehmen – zum Glück ist nicht viel Wind und die See ist ruhig, so dass zwischen Lee und Luv kein großer Unterschied ist.

Der 2. Offizier Bisset ist an der Gangwaypforte, von der aus die Menschen aus dem Rettungsboot aufgenommen werden – mit Jakobsleitern für diejenigen, die noch selbst an Bord steigen können, und mit Bootsmannsstühlen und Leinensäcken für die jenigen, die nicht in der Lage sind, die Strickleiter an der Bordwand empor zu klettern. Als letzter verlässt der 4. Offizier der Titanic, Joseph Groves Boxhall, das Rettungsboot. Bisset führt ihn sofort auf die Brücke. Dort fragt ihn Rostron sofort und ohne irgendwelche Einleitungen oder Formalien: “Wo ist die Titanic?”

“Weg. Sie ist um 2:20 Uhr gesunken.” Jetzt, um 4:20 Uhr auf der Carpathia, ist Boxhalls Antwort nur noch eine Bestätigung, die keiner mehr benötigt. Noch kann sich allerdings niemand das Ausmaß der Tragödie vorstellen. Natürlich ist man auf der Carpathia betroffen, dass man zu spät gekommen ist – doch jedenfalls kann man die Überlebenden aus den Rettungsbooten aufnehmen. Und diese Menschen haben Hilfe nötig, denn viele sind nur spärlich bekleidet, was darauf hindeutet, dass sie die Titanic in großer Hast verlassen haben. Damit droht ihnen der Tod durch Unterkühlung.

Im zunehmenden Tageslicht werden mehr und mehr Rettungsboote der Titanic sichtbar, die nun alle zur Carpathia rudern. Ein Boot hat sogar den Mast aufgestellt und segelt in der Morgenbrise zum Rettungsschiff, das sich mehr und mehr zu einem Trauerschiff entwickelt. Denn mit jedem weiteren Rettungsboot, das die Carpathia erreicht, wird klarer, dass sich ein entsetzliches Unglück in der Nacht ereignet hat. – Die Carpathia und ihre Besatzung haben eine großartige Leistung vollbracht, sie sind eine halbe Stunde früher als angekündigt am Ort des Geschehens – aber dennoch zu spät gekommen.

Der beginnende Morgen des 15. April 1912 spendet Licht für eine Szene voller Tragik – umgeben von zahlreichen großen und kleinen Eisbergen nimmt die Carpathia die erschöpften und teilweise unterkühlten Überlebenden der Titanic aus den Rettungsbooten der Titanic auf. Eine Ansammlung von Wrackteilen markiert den Ort, an dem der Gigant in der Tiefe versunken ist.

Stille macht sich auf der Carpathia breit – und nach und nach versammeln sich Menschen an der Reling des Dampfers: Die Passagiere der Carpathia, die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen von den Vorgängen an Bord wach geworden sind, sowie die bereits an Bord genommenen Überlebenden der Titanic. Die bereits an Bord genommenen Überlebenden starren angstvoll in jedes weitere Rettungsboot, das anlegt . sie hoffen, noch vermisste Familienangehörige oder aber Freunde oder Bekannte zu entdecken. Fast alle hoffen vergeblich.

Ein Passager aus der 1. Klasse der Carpathia ist ein begeisterter Amateurfotograf, der noch am Tag vorher seine neue Kamera ausprobiert hat. Nun wird er auf Anregung von Kapitän Rostron aktiv und fotografiert das Aufnehmen der Rettungsboote und die Überlebenden auf der Carpathia. In seiner Autobiographie wird Rostron diese Szenen als eine wunderbare Gelegenheit für jeden ambitionierten Hobbyfotografen bezeichnen.

Um 8:30 Uhr geht der letzte Überlebende an Bord – es ist der 2. Offizier der Titanic, Charles Herbert Lightoller. Spätestens jetzt erkennen viele Frauen, dass sie zu Witwen und ihre Kinder zu Halbwaisen geworden sind. Zudem ist nun klar, dass gute Freunde und Bekannte die Nacht nicht überlebt haben. Die Carpathia ist zu einem Schiff der Trauer geworden. Die Hausflagge des Dampfers weht auf Halbmast.

Rostron entscheidet, dass die Carpathia mit den Überlebenden nach New York zurückkehren wird. Das bedeutet zwar eine Verspätung im Fahrplan seines Schiffes, aber die anderen beiden Alternativen, die der Kapitän hat, sind nicht durchführbar:
Um mit den Überlebenden die Fahrt nach Gibraltar fortzusetzen, fehlt der Proviant, und Halifax auf Neufundland, der Hafen, der am nähesten liegt, ist nur mit einer Fahrt durch das Eisfeld zu erreichen, das der Titanic zum Verhängnis wurde.

Die Passagiere und die Besatzung der Carpathia räumen ihre Unterkünfte für die Überlebenden und ziehen selbst in die Unterkünfte der 3. Klasse; die Frauen in einen Bereich, die Männer in einen anderen. Dennoch reicht das nicht, um allen Überlebenden Kabinen zur Verfügung zu stellen – viele müssen auf Notlagern in den Speisesälen und öffentlichen Räumen übernachten.
An Land dagegen macht man sich Sorgen um die Stabilität der Carpathia aufgrund der unerwarteten zusätzlichen Menschen an Bord. Doch die die Carpathia bei Antritt ihrer Reise nur zu einem Drittel belegt gewesen ist, sind die in der Presse geäußerten Befürchtungen grundlos.

Den härtesten Job auf der Carpathia hat nun der einzige Funker. Von ihm wird erwartet, dass er die Namen der Geretteten möglichst schnell übermittelt. Cottam arbeitet bis zur völligen Erschöpfung. Als der erste Notruf einging, war er bereits über 16 Stunden im Dienst gewesen, und seit dem Empfang des ersten Notrufs war er auch nicht mehr von seinem Funkgerät weg gekommen. Irgendwann schläft er einfach über dem Gerät ein. Dann erhält er Unterstützung von Harold Bride, dem 2. Funker der Titanic, der überlebt hat, selbst aber schwer angeschlagen ist.
Zumindest Cottam verliert in der Zeit vom 15. April bis zur Ankunft der Carpathia in New York jegliches Zeitgefühl, gibt, zusammen mit Bride, alles, was er geben kann – und wird trotzdem kritisiert, weil die Namen der Geretteten viel zu langsam übermittelt und Anfragen von Land nicht beantwortet werden. Aber die Carpathia hat eine schwache Funkanlage. Sie muss, um in Verbindung mit Land zu treten, eine Funkstation auf einem anderen Schiff als Relaisstation benutzen, und wenn jene Station die übermittelten Daten weiterleitet, kann Cottam keine weiteren Nachrichten mehr senden.
Die Marconi-Gesellschaft, die unter anderem die Funkanlagen auf der Titanic  und der Carpathia betrieb, hat in jenen Tagen allen anderen Funkern ihrer Gesellschaft bis auf die Übermittlung der wichtigsten Meldungen absolute Funkstille verordnet, damit der Funkverkehr der Carpathia nicht gestört wird.

Die Passagiere der Carpathia wachsen über sich selbst hinaus. Da die Geretteten nur das haben, was sie am Leib trugen, stiften sie Kleidung für die Überlebenden – oder beginnen, Bekleidung zu nähen. Die weiblichen Passagiere der Carpathia ernennen sich selbst zu Krankenschwestern und betreuen die Geretteten.

Die Carpathia verlässt die Unglücksstelle und findet sich kurz danach mitten in einem dichten Eisfeld wider. Sie hatten es zwar vorher gesehen, aber hatten sich kein Bild davon gemacht, wie groß es ist. Fast vier Stunden – oder 56 Meilen – dampft die Carpathia durch dieses unglaublich dichte Eisfeld, vorbei an riesigen Eisbergen, die im Sonnenschein funkeln.

Und nach dem Eis läuft die Carpathia in Nebel – laut Rostron dem zweiten großen Feind der Schifffahrt. Die Dampfpfeife, die alle 30 Sekunden ihr Signal gibt, zerrt an den Nerven, besonders an den Nerven der Überlebenden. Von denen stehen viele, wenn nicht sogar alle unter Schock, sind vielleicht auch traumatisiert – doch es gibt keinen professionellen psychologischen Beistand. Diese Menschen müssen selbst mit dem klar werden, was sie erlebt haben. Und auch die Menschen auf der Carpathia müssen ihre Eindrücke alleine verarbeiten.

Am 18. April 1912 erreicht die Carpathia am Abend New York. Es regnet in Strömen, und laut Rostron tobt ein Gewitter, als die Carpathia sich dem Cunard Pier nähert. Über 30.000 Menschen bilden eine schweigende Mauer am Cunard Pier und warten im strömenden Regen. War die Carpathia zwar ein Schiff voller Trauer aber dennoch eine Insel der Ruhe gewesen, so müssen sowohl Besatzung der Carpathia als die Überlebenden der Titanic erkennen, welchen Medienrummel der Untergang der Titanic ausgelöst hat. Einer der gefeierten Helden des Unglücks ist Kapitän Rostron von der Carpathia. Er hat mit seinem Schiff alles riskiert, die 1062 Menschen an Bord, die ihm ihr Leben anvertraut hatten, dem Risiko einer Fahrt mit voller Kraft voraus mitten durch ein Eisfeld bei  Nacht ausgesetzt, um den 2208 Menschen auf der Titanic zu helfen. Für 712 Menschen kam die Carpathia noch rechtzeitig. Und niemand sprach darüber, was wohl gewesen wäre, wenn auch die Carpathia bei ihrer riskanten Fahrt mit einem Eisberg kollidiert wäre …

Die Carpathia nimmt, nachdem Rostron am 19. April 1912 vor dem amerikanischen Untersuchungsausschuss zum Untergang der Titanic ausgesagt hat, ihre am 11. April 1912 ein weiteres Mal auf – und in jedem Hafen, den sie auf dieser Reise anläuft, werden Kapitän, Schiff und Besatzung wie Helden gefeiert. Titanic-Überlebende Molly Brown lässt Erinnerungsmedaillen für die Besatzung der Carpathia prägen und stiftet zudem einen Pokal für das Schiff. Dieser Pokal wird zum Maskottchen der Carpathia.

Für Rostron ist die Rettung der Überlebenden der Titanic der Beginn einer großen Karriere. In seiner Autobiographie erwähnt er ausdrücklich, dass er seinem Funker auf der Carpathia sehr dankbar dafür ist, dass dieser so enthusiastisch war, dass er sogar beim Auskleiden noch die Kopfhörer aufbehalten hat und deswegen die Notrufe der Titanic gehört hat. Nur wegen dieser Begeisterung von Cottam für seinen Beruf hat sich für Rostron, so schreibt dieser in seiner Autobiographie, die Chance ergeben, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, was im weiteren Verlauf von Rostrons Seefahrtszeit dazu führt, dass die Rettung der Schiffbrüchigen der Titanic am Anfang einer großen Kapitänskarriere stehen – Rostron kommandiert später die Mauretania u nd die Berengaria, wird Kommodore der Cunard Line und geadelt. Rostron stirbt im November 1940 im Alter von 71 Jahren an einer Lungenentzündung, die er sich in den zahlreichen Nächten in den kalten und feuchten Luftschutzbunkern Southamptons während deutscher  Luftangriffe auf die Stadt zugezogen hat.
Von den anderen Offizieren der Carpathia überlebt nur der 2. Offizier Bisset den 2. Weltkrieg – auch er geht geadelt und als Kommodore in den Ruhestand, nachdem er zuletzt die Queen Mary und die Queen Elizabeth kommandiert.

Die Carpathia fährt weiter im Mittelmeerdienst. Im September 1914 wird sie von der italienischen Regierung mit einer Strafe belegt, weil ihr die nötige italienische Lizenz zum Befördern von Auswanderern fehlt. Nachdem die Carpathia während des 1. Weltkriegs zuerst von Piräus, Griechenland, aus weiter im kommerziellen Dienst fährt, wird sie ab 1915 wieder auf dem Nordatlantik eingesetzt – sie verkehrt von Liverpool aus nach New York und Boston.
Am 17. Juli 1918 besiegeln zwei deutsche Torpedos das Schicksal des Schiffes. Die Carpathia fährt im Konvoi nach Boston, als sie etwa 100 Seemeilen (ca. 190 km) westlich von Fastnet Rock, Irland, von den Torpedos getroffen wird. Ein dritter Torpedo trifft das Schiff, als die Rettungsboote besetzt werden. Fünf Mann der Besatzung werden durch Explosionen getötet, während die übrigen 218 sowie alle 57 Passagiere von dem Kriegsschiff Snowdrop aufgenommen und nach Liverpool gebracht werden.
Die Carpathia sinkt am 17. Juli 1918 auf der von der Snowdrop festgehaltenen Position 49° 25′ Nord, 10° 25′ West – und mit der Carpathia versinkt der Pokal, der an die größte Tat des Schiffes erinnert.

Nach dem Wrack der Carpathia wird erst Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts intensiv gesucht. 1999 wird die Entdeckung des Wracks erstmals verkündet; demnach liegt es etwa 160 Seemeilen (298 km) westlich von Land’s End (Cornwall, England). Ein Jahr später stellt sich allerdings heraus, dass es sich bei dem gefundenen Wrack um die 1936 gesunkene Isis der Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG) handelt.
Das Wrack der Carpathia wird im Jahr 2000 durch Clive Cussler, Autor von “Hebt die Titanic” und Gründer der NUMA (National Underwater & Marine Agency) an einer anderen Stelle, rund 100sm (190 km) westlich von Fastnet Rock (Irland) entdeckt.  Das Schiff steht in 150m Wassertiefe aufrecht auf dem Meeresgrund. Heute (2016) gehört das Wrack der Carpathia der Firma Premier Exhibitions Inc, der auch die Bergungsrechte am Wrack der Titanic gehören und die in Titanic-Ausstellungen weltweit vom Wrack der Titanic geborgene Artefakte zeigt.

Quellen:
Kommodore Sir James Bisset, Tramps and Ladies. My Early Years in Steamers, Sydney, 1959
Walter Lord, A Night to Remember, London, 1988
Arthur Rostron, Titanic Hero. The Autobiography of Captain Rostron of the Carpathia, Stroud, 2011
Cunard Archives im Internet, http://www.liv.ac.uk/~archives/cunard/ships/carpath.htm (zuletzt besucht 1998).

© Susanne Störmer, 1998. Aktualisiert und erweitert durch Susanne Störmer, Mai 2012 und März 2016.

Erstöffentlichung: Deutscher Titanic-Verein von 1997  e. V., Der Navigator Nr. 1, 2. Jahrgang (Juni 1998)